Samstagabend in Dietlingen, kurz vor acht. Immer mehr Gäste treffen in der großen Scheune der Hoffmanns ein, die Stühle reichen bei weitem nicht. Eilig werden weitere Sitzgelegenheiten bei den Nachbarn beschafft. Warum der große Andrang? Es ist wegen der aus Speyer stammenden Sängerin Miriam Ast und ihrem Trio: Daniel Prandl aus Mannheim am Piano und Isabel Eichenlaub aus Schifferstadt am Cello. Ihr aktuelles Programm heisst „Tales & Tongues“ und hat eine Vorgeschichte, die viel mit Miriams ganz persönlichen Erfahrungen der jüngeren europäischen Geschichte zu tun hat.

Miriam Ast hat in Mainz Jazzgesang und Saxofon studiert und ihren Master an der Royal Academy of Music in London gemacht, wo sie sechs Jahre lang lebte. Dann kam der Brexit und brachte Veränderungen auch in der traditionell sehr offenen und multikulturellen Londoner Gesellschaft mit sich. Miriam suchte darauf eine Antwort und fand sie in alten Volksliedern aus verschiedenen Teilen Europas. Sie hat sich intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt und Lieder aus Deutschland, Großbritannien, Norwegen, Ungarn, Bulgarien und Frankreich in ihrem ganz persönlichen Stil neu arrangiert. Die Melodien und Harmonien der Songs sind immer noch präsent und erkennbar, dienen Miriam aber als Ausgangspunkt für freie Interpretationen mit den ihr eigenen Mitteln des modernen Jazzgesangs. Sie ist eine Meisterin der langen Scatsolos, lässt ihrer Stimme freien Lauf, die dabei zum Instrument wird und in dichte Interaktion mit Piano und Cello tritt.

Das ist anspruchsvolle Musik, die das Publikum durchaus fordert, zumal die Texte dieser Songs naturgemäß nicht durch große Heiterkeit geprägt sind. Nun liegen aber Miriams vokale Fähigkeiten auf einem derart hohen Level, wie es nur selten zu erleben ist. Ein weiteres unverkennbares Merkmal dieses Trios sind die ausgefeilten und ungewöhnlichen Arrangements. Mit genau diesen Qualitäten holen die drei ihr Publikum ab, bei jedem einzelnen Song. Das funktioniert bei bekannten Volksliedern (Scarborough Fair, Es waren zwei Königskinder, Danny Boy seien hier genannt) genauso wie bei alten bulgarischen oder norwegischen Songs, die vermutlich niemand im Publikum zuvor je gehört hatte.

Das begeisterte Publikum erklatscht sich zwei Zugaben und erlebt in der alten Dietlinger Scheune ein Konzert, das lange nachwirkt.

Fotos: Harald Kandra. Einfach anklicken, dann wird’s groß.

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